Seine Menschenverachtung nahm immer mehr zu; er erkannte, dass die Menschheit zum großen Teil aus leeren Prahlhänsen und Dummköpfen besteht, so dass er die Hoffnung aufgab, bei anderen wahre Seelengröße oder reinen Hass zu entdecken. Er verzichtete darauf, einer Fassungskraft zu begegnen, die sich wie die seine in einer arbeitsamen Abgeschlossenheit gefiel, oder in einem Schriftsteller oder Gelehrten den scharf durcharbeiteten Geist zu finden, der sich dem seinen anschließen konnte. Er fühlte sich nervös und mehr als unbehaglich, war von der Flachheit der Ideen, die man gegenseitig austauschte, angewidert und wurde wie die Leute, von denen Pierre Nicole sagt, dass sie überall empfindlich und gereizt seien. Es kam so weit, dass er sich fortwährend seine Haut aufritzte. Geradezu unerträglich litt er bei der Lektüre patriotischer und sozialer Torheiten, die jeden Morgen von den Zeitungen unter die Leute gebracht und mit denen die ehrsamen Leser abgespeist wurden. Er begann schon von einer abgeschiedenen Thebaïde, einer komfortablen Wüstenei, einer unbeweglichen und angenehm durchwärmten Arche zu träumen, wohinein er sich vor der wachsenden Flut des schon mehr unmenschlichen Blödsinns zu flüchten gedachte. [...]. Seine Idee, sich irgendwo fern von der Welt niederzulassen, sich gleichsam in einem Winkel einzunisten und wie ein Kranker zu leben, der die Straße mit Stroh bedecken lässt, um den Lärm des unerbittlichen Lebens zu dämpfen, wurde immer stärker in ihm.

Gegen den Strich (Joris-Karl Huysmans)

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Ein älterer, weißhaariger, ziemlich klappriger Mann mit einer großen Nase überquerte vor uns den Fußgängerüberweg. Seine Mundwinkel hingen herab. Seine Lippen waren dunkelrot. [...]. Er tat das alles, als wäre er vollkommen allein. Als schenkte er dem Blick anderer niemals Beachtung. So hatte Giotto die Menschen gemalt. Auch sie schienen sich nie bewusst zu sein, dass sie gesehen wurden. Kein anderer hatte die Aura des Schutzlosen so abgebildet wie er. 

Sterben (Karl Ove Knausgard)