Im September, an einem der letzten schönen Sommerabende - es roch nach frisch gemähtem Rasen, und weit unten am See glitzerten unternehmungslustig die Lichter der Vororte -, setzte sich Konrad Lang im Wohnzimmer des Gästehauses aus einer Eingebung heraus ans Klavier. Er öffnete den Deckel und machte einen Anschlag mit der rechten Hand. Er spielte ein paar Akkorde und dann sachte die Stimme der rechten Hand der Nocturne Op. 15 No. 2 in Fis-Dur von Frédéric Chopin. Zuerst unsicher, dann immer beherzter und flüssiger.
Als Schwester Ranjah leise ins Zimmer trat, lächelte er sie an.
Dann nahm er die linke Hand zur Hilfe.
Und die Linke begleitete die Rechte. Blieb ein bisschen stehen, verschnaufte ein paar Takte, holte sie wieder ein, nahm ihr die Melodie ab, führte sie allein weiter, warf sie ihr wieder zu, kurz: benahm sich wie ein selbständiges Lebewesen mit einem eigenen Willen.

Small World (Martin Suter)

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Diesmal war ich darauf vorbereitet, was mich erwartete, und sein Körper, dessen Haut sich im Laufe der letzten vierundzwanzig Stunden offenkundig noch dunkler verfärbt hatte, weckte keines der Gefühle, die mich am Vortag innerlich zerrissen hatten. Nun sah ich das Leblose. Dass es keinen Unterschied mehr zwischen dem gab, was einmal mein Vater gewesen war, und dem Tisch, auf dem er lag, oder dem Fußboden, auf dem der Tisch stand, oder der Steckdose in der Wand unter dem Fenster, oder dem Kabel, das zu der Wandleuchte führte. Denn der Mensch ist nur eine Form und anderen Formen, die von der Welt immer und immer wieder hervorgebracht werden, nicht nur in allem, was lebt, sondern auch in dem, was, gezeichnet in Sand, Stein oder Wasser, nicht lebt. Und der Tod, den ich stets als die wichtigste Größe im Leben betrachtet hatte, dunkel, anziehend, war nicht mehr als ein Rohr, das platzt, ein Ast, der im Wind bricht, eine Jacke, die von einem Kleiderbügel rutscht und zu Boden fällt.

Sterben (Karl Ove Knausgard)