Mein Bruder wohnte ganz hinten im Gang. Im Gegensatz zu meiner Schwester oder mir hatten die letzten Jahre Marty kaum etwas anhaben können, er hatte aber auch wenigsten zu verlieren gehabt. Er war wie eine Ameise, die nach einem Atomkrieg unbeirrt weitermachte. Inzwischen maß er eins neunzig, ein magerer Hüne mit eckigen Bewegungen, die langen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden. Es war, als hätte man Woody Allen gezwungen, noch einmal die Pubertät durchzumachen: Er trug nur noch schwarze Kleidung und einen schwarzen Ledermantel, gab den ganze Tag intellektuelle Anspielungen von sich, die keiner von uns verstand, und mit seiner Hakennase und der Brille wirkte er wie eine existentialistische Vogelscheuche.

Vom Ende der Einsamkeit (Benedict Wells)

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Ich wollte nicht, dass dieser Tag begann. Ich wollte liegen bleiben und weiterschlafen, aber durch die weit geöffneten Fenster drangen in unser Schlafzimmer das Lachen der Gemüseverkäufer und das Rattern der Straßenbahn. Unsere Wohnung lag nicht weit vom Hauptbahnhof entfernt. Hier, zwischen einer chinesischen Wäscherei und einem alternativen Jugendzentrum, lebten wir. Unsere Wohnung war heruntergekommen und baufällig, aber sie war günstig.

Der Russe ist einer, der Birken liebt (Olga Grjasnowa)